Vella und Shay können unterschiedlicher kaum sein. Er lebt allein auf einem Raumschiff, sie in einer zuckersüßen Fabelwelt. Sie verbindet aber doch irgendetwas, bestimmt. Ich kann es spüren. Die beiden Storys von Broken Age verbindet aber auch noch ein weiteres Element: eine geniale Umsetzung. Adventure-Fans muss ich die App wohl kaum vorstellen, aber vielleicht können wir ja gemeinsam schwelgen. Vor einigen Wochen ist Act 1 für iOS erschienen. Wer sie noch nicht geladen hat, der sollte die 9 Euro mit dem Preis eines guten Buchs oder Kinofilms vergleichen. Die App enthält selbstverständlich keine Werbung, der zweite Handlungsteil wird später per In-App-Kauf angeboten. Die Sprachausgabe erfolgt Englisch, deutsche Untertitel sind verfügbar. Broken Age soll sich wie ein lebendiges Gemälde anfühlen, wünscht sich Entwickler Tim Schäfer.
Das Spiel ist schon lange vor seiner PC-Veröffentlichung oft besprochen worden. Der Grund dafür liegt in seiner Finanzierung über Kickstarter, welches bis dahin eines der erfolgreichsten Projekte seiner Art war und der Branche damit den Weg geebnet hat. Nicht ganz aus heiterem Himmel passierte das. Das Entwicklerstudio Double Fine Productions aus San Francisco ist jenes von Tim Schäfer, welcher, angefangen bei der Mitarbeit an Monkey Island, viele erfolgreiche und spaßige Spiele geschaffen hat, also eine echte Entwicklerlegende ist. Broken Age habe ich trotzdem versucht ohne diese Vorschusslorbeeren zu spielen.
Ganz am Anfang stehen sich die beiden Helden gegenüber, als würden sie sich anschauen, bevor sich jeder schlafen legt. Beide sind sich schon im Äußeren etwas ähnlich – groß gewachsen als wäre die Gravitation in ihren Welten zu gering. Und doch wachen sie in vollkommen unterschiedlichen Umgebungen auf. Das Mädchen Vella schläft unter einem Baum in einer bunten Naturlandschaft wie am Mittelmeer, Shay unter einer virtuellen Decke in einem Raumschiff. Der Spieler muss eine von beiden Figuren zunächst kennenlernen, bevor er jederzeit zur Story der anderen sowie hin und her switchen kann. Während das Mädchen kurz davor steht, einem Ungeheuer geopfert zu werden, hat der Junge eine sehr kontrollierende Raumschiff-KI als Mutter und einen sehr lahmen Alltag. Während sie die Entscheidung, nicht gefressen zu werden, beinahe vorwegnimmt, ist ein Ausbruch aus der vollumsorgten Welt bei ihm etwas überraschender und mehr von dir als Spieler abhängig. Aber seht und entscheidet selbst, ob ihr den Spielzeugzug retten wollt. Unterschiedlicher geht kaum. Und doch ist schon nach 5 bis 10 Minuten im Spiel eine Gemeinsamkeit im jugendlichen Rebellentum zu erkennen, welche beide dann doch zusammenführen sollte.
Die Story von Broken Age will ich nicht weiter vorwegnehmen. Besonders der Humor hat es mir angetan. Dieser kommt jenem Humor gleich, welcher das Genre groß gemacht hat. So ersetzt Shay sein schlafendes Ich durch eine aufblasbare Puppe, welche dann später wie ein flutschiger Luftballon durch den Raum fliegt. Es sind die Zwischentöne, welche euch neugierig auf das Spiel machen sollten. Töne: Gesprochen wird Shay von Herr der Ringe Elijah Wood. Auch Wil Wheaton ist als Sprecher mit von der Partie, aber der hat wohl ohnehin Zeit ohne eigenes Raumschiffkomando. Hehe. Verrückter für eine App ist, dass die Musik vom Melbourne Symphony Orchestra kommt. Gerade auf dem iPad sind die Grafikdetails derart, dass ich ununterbrochen Screenshots machen wollte.
Ein klein wenig kritisch darf ich angesichts dieses Anspruchs natürlich auch sein. Die Rätsel lösen sich dank der Hervorhebungsfunktion relativ leicht, wenn man einmal die richtige Denkweise gefunden hat. Anfangs in der Bemutterungsszene auf dem Raumschiff dachte ich noch, dass dies so sein müsse, um Handlung und Erzählweise kohärent zu halten. Es ist mir selbst langweilig, wo es Shay langweilig ist. Immer wieder muss ich die gleichen Aufgaben lösen und meine Entscheidungsfreiheit beim Frühstück beweisen. Aber auch nach dem Bruch und der Begegnung mit der Wahrheit bleibt das Spiel dann doch ziemlich leicht. Die Rätsel kommen nicht an jene heran, die Zack oder Guybrush zu lösen hatten. Es gibt keine abgedrehten Objekte zu kombinieren und aberwitzigen Probleme. Mein Problem ist wohl noch, dass ich mich mit dem Mädel nicht so ganz identifizieren kann. Der Typ YouTuberin geht mir schon nach wenigen Minunten mit ihrem püppiehaften Aussehen auf die Nerven und ich wünschte mir, das Monster wäre etwas schneller gewesen. Zumindest die witzigen Vögel haben mich dann aber wieder etwas entschädigt. Die tolle handgezeichnete Grafik und der schnelle Storyfortschritt sind die beiden größten Pluspunkte von Broken Age, welche zu einfache Rätsel vergessen lassen.
Fazit: Broken Age ist ein Musthave-Adventure. Gameplay und Grafik bilden eine Einheit, welche sehr selten ist im App Store. Meine Kritikpunkte mögen angesichts der hohen Qualität etwas künstlich wirken, tatsächlich fehlen mir bei den Rätseln etwas die Kopfnüsse, welche ich selbst in einfachen Room Escapes ab und zu finde. Schwierigere Rätsel und seien sie optional für Nebenhandlungen, wären für mich ein Wunsch für die zweite Episode.
Update: Die Version 2 bringt als Contentupdate auf iOS die zweite Episode mit, welche die Handlung abschließt. Zeitgleich ist die Tim Schäfer App für Android erschienen.