In den USA ist der etwas andere Nachrichtendienst Snapchat längst ein Hit und auch bei uns mehr und mehr im Kommen, besonders bei Jugendlichen. Die App ist für Android und iPhone verfügbar und bietet die Möglichkeit, sich selbst zerstörende Fotos und Videos mit dem Freundeskreis zu teilen. Über 100 Millionen snappende Nutzer hat die Plattform bereits und die Community wächst ständig weiter. Gründer Evan Spiegel hält Snapchat sogar für so wertvoll, dass er es sich leistete den Verkauf seiner App an Mark Zuckerberg für drei Milliarden Dollar abzulehnen. Mit seinem Konzept, Daten nur begrenzt und nur für bestimmte Personen zugänglich zu machen, bildet die App das komplette Gegenteil zu Facebook. Das Logo von Snapchat ist ein kleiner Geist und soviel Spaß die App damit verspricht, so erschreckend ist sie am Ende auch. Denn in Sachen Datenschutz läuft hier einiges nicht so richtig rund.
Happy-Snapping
Mit der tatsächlich sehr beliebten App kann man Videos und Fotos, sogenannte Snaps, mit Freunden teilen, die nur für 1-10 Sekunden sichtbar sind und danach für immer verschwinden. So zumindest der Plan. Die Bedienung ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, denn zwischen den verschiedenen Bildschirmen und Funktionen der App wechselt man durch hoch oder zur Seite wischen. Bei mir öffnet die App sich gleich mit der Kamerafunktion, sodass ich sofort mit Selfies schießen loslegen könnte. Neben einfachen Filtern, Smileys, Text und einer Malfunktion gibt es für neuere Android-Versionen und iPhones seit dem letzten Update die Lenses. Damit kann man seinen Selfies den letzten Schliff verpassen. Zum Beispiel kann man sich selbst ein Monokol aufsetzen oder einen Regenbogen kotzen lassen. Wer seine eigenen Bilder behalten möchte, kann diese einfach über einen Button im Bearbeitungsmenü speichern.
Freunde kann man über sein Adressbuch, Facebook oder deren Nutzernamen auf Snapchat finden. Viele Promis nutzen den Messenger, um mit ihren Fans zu kommunizieren. Über die Geschichten-Seite geteilte Inhalte können von Freunden, oder von jedem der einem folgt, bis zu 24 Stunden lang angesehen werden. Mit Live-Geschichten können Nutzer, die sich an einem Event befinden, Snaps zur Geschichte des Events hinzufügen. So entsteht eine Geschichte zum Event aus den verschiedenen Blickwinkeln der Nutzer. Über die Discover-Funktion stellen Seiten wie MTV, People oder CNN und National Geographic den Nutzern regelmäßig informativen Content zur Verfügung. Chatten kann man zwar auch, Snapchat ist dafür aber weniger geeignet, da auch die Texte nach dem Lesen wieder verschwinden. Für vergessliche Menschen wie mich eine Krux, denn der Text eines Chats verschwindet genauso schnell wieder von der Bildfläche wie alle anderen Daten. Wo war jetzt nochmal der Treffpunkt? Mist, schon weg. Wer eine zugesendete Datei behalten oder einfach nur länger ansehen möchte, kann natürlich jederzeit einen Screenshot machen. Der Absender wird darüber allerdings informiert. Womit wir auch schon bei der unzweckmäßigen Verwendung von Snapchat angekommen wären. Denn der Sinn des Messengers ist es ja gerade, dass die Daten wieder verschwinden sollen!
Der Geist, der Gutes will und Böses schafft
Dass man dem schönen Schein des kleinen Snapchat-Geistes nicht trauen kann, beweist sich ein ums andere Mal. Seit App-Launch treten immer wieder technische Probleme und damit einhergehende Sicherheitslücken auf, die großen Einfluss auf die Datensicherheit der Nutzer haben. Mit älteren Betriebssystemen als iOS7 konnten Snapchat-Nutzer bspw. Screenshots machen, ohne, dass dies dem Absender gemeldet wurde und es gab eine Zeit lang diverse Apps, mit denen Inhalte unbemerkt vom Absender heruntergeladen und gespeichert werden konnten. Diese wurden aber von Snapchat aus den Stores verbannt. Obwohl anders von Snapchat in deren Datenschutzerklärung angegeben, wurden zwischen 2011 und 2013 von Android-Nutzern standortbasierte Daten gesammelt. Außerdem wurden von iPhone-Nutzern ohne deren Wissen sämtlichen Daten des Adressbuches gespeichert, wenn sie über die Telefonnummer in der App nach Freunden suchten. Durch eine durchlässige Registrierungsmethode war es möglich, sich unter falschen Telefonnummern anzumelden, wodurch man vermeintlichen Freunden private Nachrichten schicken konnte, obwohl es sich garnicht um die entsprechenden Personen handelte. Diese Sicherheitslücke konnte bspw. für Phishing ausgenutzt werden. Weiterhin war es durch einen Fehler in der App möglich, gezielt mehrere Dateien gleichzeitig an einen Empfänger zu senden, was dazu führte, dass dessen Telefon einfror und neu gestartet werden musste. Da Snapchat sich lange Zeit nicht um bekannte Sicherheitsprobleme kümmerte, stellten Hacker 2013 als Warnung 4,6 Millionen Nutzerdaten in Form von Nutzernamen und dazugehörigen, aber gekürzten Telefonnummern ins Netz. Daraufhin dauerte es etwa ein halbes Jahr, bis Snapchat die Lücke schließen konnte. Snapchat arbeitet laut eigenen Angaben ständig an seinen Sicherheitssystemen und bietet Hackern, die es schaffen weitere Sicherheitslücken aufzudecken, eine Belohnung in Höhe von 10,000$.
Dennoch konnten im letzten Jahr durch Drittanbieter Fotos von Nutzern auf externe Server übertragen werden. Ein Programm loggte sich mit den Daten der Nutzer ein und speicherte deren Fotos und Videos ohne das Wissen der Nutzer oder von Snapchat. Dadurch gelangten 13 Gigabyte Datenmaterial an die Öffentlichkeit, wovon mindestens 100 MB an Nacktfotos vorkamen. Ein Teil davon wurde auf Seiten gespeichert, von denen sie nicht mehr gelöscht werden können. Mit dem Download solcher gestohlenen Snapchat-Bilder kann man sich dem Besitz von Kinderpornographie schuldig machen, selbst wenn die Bilder von den Kindern selbst gemacht wurden. Viele Teenager nutzen den Instant Messenger in dem Glauben, ihre Bilder und Videos würden sich automatisch wieder in Luft auflösen und gehen entsprechend sorglos mit der App um. Wie schnell ist ein intimes Selfie dem aktuellen Schwarm geschickt und im nächsten Moment wird ein Screenshot gemacht und an die gesamte Schule weitergeleitet? Oder das Bild landet im Internet, ohne dass vom Absender darauf Einfluss genommen werden könnte. So ein Missbrauch der App kann für den Absender eines Bildes schlimme Folgen haben, wie z.B. Mobbing. In deutschen App-Stores ist Snapchat schon ab 12 Jahren verfügbar. In jedem Fall sollten daher die Gefahren der App vor der Nutzung offen angesprochen und dem Teen ein verantwortungsvoller Umgang mit Snapchat nahegelegt werden. Was einmal im Internet gelandet ist, bleibt auch im Internet. Darüber sollte sich jeder bei der Nutzung von Instant Messaging Apps stets im Klaren sein und nur Inhalte teilen, deren Veröffentlichung keine unangenehmen Konsequenzen nach sich ziehen.
Snapchat will „Geld verdienen“
Trotz der enormen Sicherheitslücken in der Vergangenheit, erstellen täglich mehr als 100 Millionen Nutzer Inhalte auf Snapchat. Dies möchten die Macher nun mit der erwartbaren Begründung nutzen, nämlich, dass sie doch auch Geld verdienen müssten. Snapchat bietet Unternehmen also die Möglichkeit, vertikale Werbespots zu implementieren. Der Nutzer soll aber dann selbst entscheiden ob er sich den Werbespot, der in den Geschichten untergebracht werden soll, ansehen möchte oder nicht. Das Versprechen an Unternehmen: allein in den USA die Zielgruppe von 13-34 jährigen Snapchat Nutzern zu erreichen und damit 60% der Smartphone Nutzer in dieser Altersspanne. Das Versprechen an die Nutzer: die Werbung ist freiwillig rezipierbar und verschwindet danach oder nach 24 Stunden wieder. Der Dienst verspricht jedoch anders als Facebook die Werbung nicht zu personalisieren und somit auch keine entsprechenden Daten zu erheben. Neben der Werbung führt Snapchat auch in-App-Käufe ein. Mit dem neuen Update kann man bereits angesehene Fotos und Videos, die damit eigentlich für immer verschwunden sein sollten, zurück holen. In Deutschland sind die In-App-Käufe bei Google Play für drei, zehn oder 20 sogenannter Replays zwischen 1,07€ und 5,39€ möglich. Diese Neuerung trifft bei vielen Nutzern auf Unverständnis, denn die Möglichkeit einen Snap wiederholt anzusehen ist bereits einmal am Tag kostenlos möglich.
excuse me what the fuck is this @Snapchat pic.twitter.com/w9Ahko3C34
— liana (@liana_thompson) 15. September 2015
Snapchat sieht es dagegen als Kompliment für den Absender, wenn dessen Inhalte es Wert sind, erneut abgespielt oder aufgerufen zu werden und begründet die Einführung der In-App-Käufe so: Viele Nutzer würden täglich so viele Snaps erhalten, dass es zu schade wäre, nur einen Snap wiederholen zu können. Wer genauer darüber nachdenkt, muss eigentlich merken, dass hier irgendetwas falsch läuft. Sollten die Daten nicht eigentlich nach dem Ansehen für immer gelöscht werden? Wieso kann sie dann jeder gegen Geld immer wieder zurückholen? Angesichts der „Skandale“ in der Vergangenheit, darf man wohl skeptisch bleiben.
Fazit
Snapchat ist an sich eine schöne Idee. Fotos oder Videos mit Freunden zu teilen, ohne sich um deren Verbleib sorgen zu müssen, ist aber eine Luftblase, die allzuschnell platzen kann. Der Instant Messenger schoss sich mit der ignoranten Haltung gegenüber den eigenen Sicherheitslücken selbst ins Bein. Nur wem es egal ist, dass seine Bilder nicht wieder verschwinden und einigermaßen verantwortungsvoll mit der App umgeht, kann den Spaß dahinter genießen und bekommt hier eine Empfehlung. Mit Werbung und In-App-Käufen wird die App jetzt aber noch weniger spaßig. Ich selbst will eigentlich auch keine Bilder mehr damit machen, vor allem keine Selfies, denn zum Chatten und Bilder versenden gibt es genügend andere Apps mit wesentlich mehr Nutzern in meinem Freundeskreis. Wie sicher diese anderen Apps sind, steht hier erstmal außer Frage, denn sie spielen uns zumindest nicht vor, die verschickten Daten wieder zu löschen.