„Julia, wo bist du“ fragte nicht der Romeo, sondern der Steve. Wir sind also nicht bei Shakespeare, sondern bei Tap. Das ist jetzt keine Abkürzung für textuales akademisches programm (progressiv natürlich klein geschrieben), sondern eine von drei dieses Jahr besonders angesagter Spiele-Apps. Chat Storie/y oder Chat-Fiction, schon seit 2015 im Umlauf, dieses Jahr etwas gehyped. Ganz so ist man sich trotzdem noch nicht einig, wie man den Trend 2017 bezeichnen soll. Ganz ehrlich ist er an uns hier etwas vorbeigegangen, denn es geht ums Lesen. Und das tun wir eigentlich so gut wie gar nicht mehr. Räusper. Also angeblich sind die Apps für Teenies interessant und da kommt natürlich gleich wieder die Kulturkritik-Keule geschwungen wie Tarzan im Original von Disney. Oder, der andere Typ mit der Maske, der wie die sieben Zwerge und Cinderella eine ursprüngliche Erfindung von Homer Simpson sind. Ganz beiseite lassen wollen wir also mal das Generations-Bashing, wie es die ARD die Tage wieder geprobt hat. Das hat schon Sokrates für uns erledigt. Oder war es Platon? Auch nicht genau gelesen.
tl;dr: Dies ist ein Text über die drei populären Chat-Geschichten-Apps. Lesen, laden, deinstallieren. Okay, wir wollen mal unvoreingenommen rangehen, wie eben schon versprochen. Also lesen, laden, löschen. Ups. Jedenfalls sehe ich bei dem Trend nicht unbedingt eine Altersabhängigkeit, zumal daran technisch nichts Innovatives ist. Im Gegenteil, mit Messenger-Adventures waren wir schon mal weiter. Was z.B. die Beeinflussung der Handlung angeht.
„Aber was ist mit Lucy?“ fragt die Julia dann im weiteren Chat-Verlauf meiner ersten Tap-Story mit Steve und dem Dackel. Ihr sei etwas passiert und sie sei gefährlich wie Salz auf Pommes, wird die Julia gewarnt. Aber sie sei doch nur sechs Jahre alt und ganz klein. Nein, nein, sie habe ein ganzes Kücken erbrochen oder ein Nugget, genau habe ich das nicht gelesen. Außerdem habe sie schwarze Augen. Julia soll auf den Balkon kommen „oder so“, doch leider klemmen die Türen. Offenbar schlechte Handwerker am Bau gewesen, welche die Spannungsfuge für die Feuchtigkeitsausdehnung vergessen haben, würde ich sagen. Wie die Geschichte ausgeht, werde ich nicht verraten. Ehrlich, ich hab sie sogar bis zum Ende durchgeTAPt, trotz bereits zynischer Zwischentöne. Würde ich eine weitere lesen wollen? Najaaaa. Also etwas Kritik darf nicht fehlen. Ganz einfach kann ich es mir aber hier machen mit nem Vergleich: Schaut mal ne Episode einer Vorabendserie der ARD, einen Hollywood-Actionknaller oder eine jener Sitcoms, da läuft es mitunter ähnlich ab von den Dialogen. Es geht hier auch gar nicht so um die Inhalte, Storys gibt es sehr viele in den Apps. Es geht uns hier logischerweise um den Aufbau der Apps und das Medium.
Aufbau von Chat-Stories
Chat-Stories funktionieren so, als würde man eben den Gesprächsverlauf zweier Personen belauschen. Hört sich nach einer Ausbildungsapp der Geheimdienste an. Um so etwas Geschmack dafür zu bekommen. Tatsächlich ist es wohl gerade jene Authentizität der Einfachheit, welche so anziehend ist. Durchs eigentlich nervige Tappen als Steuerung erhöht sich der Eindruck, als wäre der Chat gerade live und aktuell. Kennt man ja von diversen Facebook-Seiten und YouTube-Videos, dass sowas gern wiedergegeben und gelesen wird. Etwa so wie damals, wenn man auf dem Schulhof einen Liebeszettel abfing und dann vor allen vorgelesen hat: Julia liebt den Romeo, da… hm, wieso standen die eigentlich so aufeinander?
Also: Chats. Man kennt die Personen nicht, sie sind keine langsam aufgebauten Serienfiguren und es gibt meist auch keine Bilder, sie werden einem nicht vorgestellt und eigentlich sind ihre Namen, Alter und so weiter auch völlig austauschbar. Gerade das spricht komischerweise gegen den Entstehungsmythos von Hooked, wonach eine dunkelhäutige Inderin in einer SciFi-Story den Verlagen nicht zu verkaufen gewesen sei und man deshalb die App gemacht habe. Hm. Die Rechtschreibung sieht auf den ersten Blick ganz okay aus. Die Grammatik auch. Jedoch auch nur auf den ersten Blick. Es nerven stilistisch die vielen in die Länge gezogenen Ausflüchte, der Versuch sowas wie Spannung aufzubauen. Ich komme mir wie im Gift Shop Sketch vor. Das Prinzip soll eigentlich sein, dass man unbedingt erfahren will, wie es weitergeht. Ich muss hingegen mit den Schultern zucken und sagen, was interessiert mich die Julia?
Gerade die oben schon genannte geringe Interaktion, man darf maximal noch nen Kauf machen, ist es, die mich mega stört. Idle Clicker Games sind schon öde. Mein Lesefluss ist schneller, als ich auf „neue Nachrichten“ tippen kann. Fast-Reading, was angesichts der seifigen Seichtigkeit angemessen wäre, kann man hier komplett vergessen. Dadurch ziehen sich die Chat-Stories unnötig in die Lääääänge.
Hier mal die drei Apps mit ihren Links zu den Stores. Alle Downloads sind kostenfrei, die Nutzung jedoch nicht gratis:
Frapierend im Fazit: Die drei Apps haben in etwa den gleichen Aufbau. Ich habe sie mir nur mal schnell runtergeladen und bin bei allen auf wenig interessante Inhalte gestoßen. Zumal man bei allen drei immer erst eine Einführungsgeschichte durchtippen muss. Darauf hatte ich nur zwei Mal wirklich noch Lust. Aber was muss, das muss. Dafür gibt es überall das Abo-Modell, 7-Tage kostenlos, danach kompliziert kündbar. Bei Hooked gab es schon in der ersten Geschichte drei Bilder, welche man nur sehen kann, wenn man zahlt oder sich „kostenlos“ registriert für die besagte Woche. Timer sind bei der einen auf 20 Minuten eingestellt, bei der anderen auf 40. Außerdem kann man auch eigene Geschichten einreichen. An dieser „Ähnlichkeit“ der drei Apps merkt man schon, dass dahinter keine Raketenwissenschaft steckt. Trotzdem finde ich den Trend selbst recht spannend. Wenn die Geschichten hochwertiger gemacht wären, würde da sicher auch die ältere Generation jene lesen. Schließlich nutzt auch meine Oma das berüchtigte Whatsapp und ist ans Medium gewöhnt. Oje.