Dein Mund steht offen, deine Augenbrauen hochgezogen. Ganz ernsthaft interessiert dich dieses Foto. Und dabei zeigt es nicht einmal eine Katze oder einen Hund auf Instagram. Nein, ganz ernsthaft ohne Like-Gedöhns ist dieses Foto etwas besonderes für dich, obwohl du weder die darauf gepumpte Prominente kennst, den merkwürdigen Ort unter der Brücke oder den Schatten im Hintergrund zuordnen kannst. Und das lese ich deinem Gesicht ab, ob du nun „O du liabs Herrgöttle von Biberach“ sagst oder Sapperlot, Heidewitzka, Donnerknispel oder Ei der Daus! So nun aber: Warum ist das so?

Du guckst auf Instagram Fotos an? Schähm dich nicht. Direkt aus dem Stream holen wir dich zu einer Fernreise ab. „Wie Fotos wirken“ von Brian Dilg ist ein Buch, was eure Sicht auf Fotos wie ein Trip nach Bali für immer verändern wird. Nur klimafreundlicher.

Was dich erwartet

„Wie Fotos wirken“ ist der übersetzte Titel von „Why you like this photo“. Der Autor arbeitet seit Jahrzehnten als Fotograf, Kameramann, Autor und war Pressesprecher bei Canon. Sein Buch ist beim mitp-Verlag gerade frisch erschienen. Als Hardcover mit sehr vielen Fotos, kompakten Texten und wunderbarer Aufmachung. Nein, nicht nur Fotos. Sondern: „Mit den Werken von über 50 angesehenen Fotografen, den Meistern aus dem zwanzigsten Jahrhundert bis zu zeitgenössischen Wegbereitern„.

Schon das Titelbild von „Wie Fotos wirken“ fesselt. Übrigens wie viele im Buch ein Foto vom Autor selbst. Immer wieder wandert der Blick zur Lücke, in die Ferne, dann wieder zur Szene vorn rechts. Ist das ein Foto? Warum sind die drei Kinder im Schatten, was sind das für Mauern? Ein klein wenig allegorisch scheint das Foto schon sagen zu wollen: Um mich richtig zu sehen, musst du das Buch lesen! Denn drunter steht: „Wie wir sehen, wahrnehmen und denken“. Dieser gibt auch gleich die Struktur der drei Kapitel vor, welche auf den 160 Seiten plus Fazitkapitel zu finden sind.

Die englische Ausgabe hat übrigens den schiefen Turm von Pisa und die Touristen als Titelbild, was dort dem von mir aufgemachten Gegensatz „Instagram vs. Fotokunst“ negiert. Der Autor hat „kein Problem“ mit sozialen Netzwerken. Auf Deutsch hat der als Frage zu verstehende Titel „Wie Fotos wirken“ den Inhalt mehr ins analytische gebracht und trifft es für deutsche Leserschaft besser als das Original, finde ich. Dieser ging ja noch mehr in Richtung des aktuellen Like-Wahns und könnte entsprechend missverstanden werden. Es geht hier nicht im Smartphonefotografie für maximale Likes mit „Influenzer-Gefallenseffekt“, sondern die Grundwerte der Fotografie. Likes für Katzen und Hunde findet der Autor aber trotzdem okay, wenn sie dir gefallen.

Gefallen ist eben als Wort schwach für das, was manche Motive auslösen und vorher den Fotografen den Auslöser abdrücken liesen. Fotos bilden das ab, wo Worte es schwer haben. Beliebt in diesem Sinne sind die snackhaften Ausstellungen des World-Press-Foto durch die Einkaufszentren. Doch vielmehr geht es darum, warum manche Fotos „interessieren, festhalten, spannend sind“ und manche fast alle eben nicht. Oder eben „lebendig wirken“ wie es auf diesem Rückcover steht, eben „Wie Fotos wirken“. Fotokunst. Insofern könnte man auch fragen, warum Fotos mittlerweile beliebter sind als etwa Höhlenmalerei oder Wasserfarben auf dem Asphalt.

Die Grenzen unserer Wahrnehmung

Tauben haben eine Zapfenart in den Augen mehr als wir Menschen. Eine was? Eine Art von Fotorezeptoren in der Netzhaut, welche Farben wahrnimmt. Wäre interessant zu sehen, wie diese Vögel die Welt sehen.

Andere Wahrnehmung schulen. Mit einer Erfahrung aus einem Zeichenkurs holt uns der Autor ab und gipfelt dann in einzelnen Techniken, wie Fotos interessant werden: Gaze-Following? Stimmt, diesen Begriff hast du noch nie gehört und dennoch machst du es. Der Blick bei diesem Foto auf Seite 112 geht rüber zur Frau, welche am Rand des Springbrunnens sitzt. Implizite Beziehungen, Linien, Farben, Belichtung.

Fotos wirken über die Wahrnehmung. Hört sich einleuchtend an? Und wie nehmen wir war? Tatsächlich ist es schon faszinierend zu erfahren, dass man als Mensch nur einen minimalen Schärfebereich im Sehen hat und die verminderte Tiefenschärfe auf vielen Fotos deshalb so interessant wirkt, da wir es beim natürlichen Sehen nicht erleben können. Smartphones versuchen das ja immer mehr zu imitieren und per Software Gesicher erstrahlen zu lassen. Wirklich fotografische Gestaltungsmöglichkeiten bietet das nicht. Der Autor geht sogar soweit automatische Fokusobjektive nur Anfängern zu empfehlen. Diese technischen Besonderheiten der Fotografie sind es im Kapitel 1, mit denen das Buch jeden abholt. Dies sind für viele wohl bekannte Gegebenheiten, welche aber stets im Vergleich mit der menschlichen Wahrnehmung gesetzt werden und dadurch neue Aspekte abgewonnen wird. Der letzte Satz des Kapitels ist dann sogleich auch der Höhepunkt. Dort wird gefragt, ob Kunst das Gefängnis unserer begrenzten menschlichen Wahrnehmung sprengen kann oder „reflektiert sie lediglich die Grenzen unserer Wahrnehmung“?

Dieses Buch ist für dich gemacht, wenn…

Du wirst dieses Buch lesen, weil du nicht nur sehen kannst, sondern auch wahrnehmen. Wenn du Fotos eben interessannt findest oder selbst auf der Jagd bist solche zu machen, vor denen Menschen innehalten. Und sei es nur für eine Sekunde. Ja. In jeder Pikosekunde, das ist das Millionstel eines Schildkrötenhaars, werden auf der dominanten Plattform etwa dreitausendeinhundertzwei Fotos schnelle Schnappschüsse geteilt. Ne Menge. Instagram prägt das Fotoverständnis der Nutzergeneration YouTube-Kacke. Saas! Denn sind das alles gute Fotos? Na, wir wollen hier keine Netzwerk-Zeitgeist-Kritik betreiben, es gibt ja Alternativen ohne Influenza-Husten.

Das Problem etwa auf Instagram ist, dass nur wenige Fotos in einem „etwas“ auslösen, nichtmal für nen Doppeltab reicht es meist. Nur wenige Fotos bekommen „Likes“, viele werden gar nicht gesehen, aufgrund fehlender Hashtags wie „Sushi-Pizza-Burger“ oder weil man 2019 verdammt spät ist. Die Phrase der Bilderflut tropft hier freilich rein, sorry. Während es für so einen Franzosen 18hundertirgendwas noch reicht die ersten zwei Menschen abzubilden, muss man heute schon mehr abliefern. Nicht nur auf Instagram.

Fotos iritiieren, sie fesseln, sie haben „irgendwas“ besonderes, was man zwar sieht, aber meist nicht sofort versteht. Freilich funktionieren solche Fotos dann auch auf Insta und jeder der Fotos anschaut und selbst macht, wird als Zielgruppe aus diesem Buch etwas mitnehmen. Eine Bewußtseinsveränderung, eine Veränderung im Blick. Das Buch „Wie Fotos wirken“ ist für dich gemacht, wenn du Fotos anschaust und mehr sehen. Doch Vorsicht! Wer nach der Lektüre, nach dem Genuss wunderbarer Beispielfotos auf Insta geht, der könnte sich angesichts der Einfältigkeit schnell langweilen. Oder zumindest seine Follows neu verteilen.

Wie wirken Fotos denn nun?

Und, was ist nun auf dem Titelbild zu sehen? werde ich vom Coworker gefragt. Hm. Schwierig zu sagen, auf Seite 136 wird es sicher erklärt. Es ist auf jeden Fall mal etwas anderes. Etwas anderes als üliche Instagram-Kost, bestehend aus Müsli mit Heidelbeeren (oder sind das Blaubeeren?) oder Katzen. Nicht eine Katze habe ich im ganzen Buch gefunden. Die einmal mitanschauende 2-Jährige hat jedoch mehre Huuunde entdeckt.

Wer von dem schnellen Fotonebel heraussteigen will und sich mal damit beschäftigen, was gute Fotos mit Langzeiteffekt wirklich auszeichnet, für den habe ich diesen Buchtipp. Kein gewöhnliches Fotobuch, sondern eine wirklich außergewöhnliche Mischung aus den Grundlagen der Wahrnehmung und Analyse der Wirkung.

Verfügbar ist „Wie Fotos wirken“ vom mitp-Verlag (ISBN: 9783958459922) für günstige 25 Euro. Derzeit steht da: „nur noch 1 auf Lager“, also schnell rüber! (Affiliate-Link)

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