Er ist groß, grün, eckig und hat meistens eine Schraube in seinem Hals stecken. Wer jetzt „Frankenstein!“ denkt, ist leider durchgefallen, denn die Rede ist von seinem Monster, das in dieser Form in zahllosen (Trick-) Filmen seinen Auftritt hatte. Doch auch, wenn Frankenstein’s Monster zu den wohl bekanntesten Monstern gehört, hat es in modernen Darstellungen nur wenig Ähnlichkeit mit der Kreatur aus Mary Shelley’s Roman „Frankenstein“ oder auch „Der moderne Prometheus“. ARTE und La Belle haben die Legende um das Monster in „The Wanderer – Frankenstein’s Creature“, einem Point-And-Click-Adventure, auf sehr kunstvolle Weise aufgearbeitet. Spielen könnt ihr es über Steam (14,99€) oder iOS (4,49€).
Spaziergang durch ein Gemälde
Drei Jahre wurde an der Aquarelllandschaft gezeichnet. Zu Beginn wirkt diese eher minimalistisch, Weiß in Weiß, zur Abwechslung mit ein paar grauen Tupfen. Doch wenig später offenbart sich eine bunte, vielfältige Welt, durch die der Protagonist – das Monster – auf der Suche nach Selbstfindung reist. Es erwacht ohne Erinnerungen und kennt weder Gut noch Böse, es wandert durch die Welt und beobachtet. Ganz nach dem Ideal romantisch verklärter Dichter findet es sich ganz im Schoß der Natur wieder, lauscht Bächen und Bäumen. Doch diese Harmonie ist nur von kurzer Dauer: Die Welt besteht nicht nur aus Schönheit und Licht, sondern auch aus Dunkelheit. Das erste Mal stößt die Kreatur auf diese, als es vor dem Kadaver eines Tieres steht. Doch Frankenstein’s Schöpfung hat die Wahl, Entscheidungen zu treffen. So kann man ein Rehkitz vor einer Schlange retten – oder auch nicht.
Rache oder Flucht?
Manche der Entscheidungen in The Wanderer – Frankenstein’s Creature sind sehr viel düsterer als andere, was sich offenbart, wenn man das erste zivilisierte Dorf betritt. Erneut wird das Motiv der Harmonie aufgegriffen und unsere Figur spielt mit ein paar Kindern Ball. Im nächsten Moment wird es jedoch ganz klassisch von wütenden Dorfbewohnern mit Mistgabeln und Fackeln vertrieben. Verwirrt und auf seiner Flucht in die Enge getrieben, kann sich das Monster durch Brüllen verteidigen oder sich wehren. Letzteres ist eine sehr schlechte Idee, denn einer der Steine, die der Mob auf das Monster wirft, trifft zurückgeworfen ein Kind und erschlägt dieses. Je nach Entscheidung kann die Stimmung der Kreatur kippen, was Auswirkungen auf die ganze Spielwelt hat. Eben noch ist die Umgebung in bunten, fröhlichen Farben gehalten, im nächsten ist alles grau und düster oder von Schwarz- und Rottönen dominiert. Auch der Soundtrack von The Wanderer – Frankenstein’s Creature untermalt dies, mal sanft und harmonisch, mal dissonant und bedrohlich.
Suche nach dem Sinn
Trotzdem sehnt sich die Kreatur nach Gesellschaft und findet ein abgelegenes Haus. Sie stiehlt daraus ein Lexikon und lernt die Sprache der Menschen, die man dann statt der Runenschrift als lesbaren Text entziffern kann, wenn die Menschen sprechen. Mit diesem Verständnis erkennt das Monster die Nöte der armen Bauernfamilie und kann versuchen, ihnen zu helfen, z.B. durch Hasen fangen, Holz hacken und Raben vom Garten vertreiben. Die Familie glaubt an ein göttliches Wunder und überlebt dank des Monsters den Winter. Schließlich fasst das Monster Mut und tritt einem der Hausbewohner gegenüber. Durch Violinenspiel will es dem alten Großvater beweisen, dass es ein zivilisiertes Lebewesen ist – mit Erfolg! Natürlich stellt der alte Mann einige Fragen, ist aber bereit, seinen Gast aufzunehmen. Leider jedoch haben die beiden jüngeren Familienmitglieder bessere Augen als der alte Mann und fürchten sich beim Anblick der Kreatur und vertreiben diese. Nach einer Flucht in den Wald erblickt sie in einem See zum ersten Mal ihr Spiegelbild und versteht nun, dass es nicht nur an ihren Taten liegt, weshalb es von der Gesellschaft verstoßen wurde, sondern auch daran, was sie ist – nämlich ein Monster.
Adam meets Pygmalion
Ein Motiv findet sich auffallend oft in The Wanderer – Frankenstein’s Creature wieder: Die Schöpfung. Ob Adam und Eva oder Pygmalion und Galatea, die Frage nach dem Ursprung der Existenz, der Erschaffung neuen Lebens zieht sich durch das ganze Spiel und interpretiert so Mary Shelley’s Werk auf eine sehr romantische, wenn auch düstere Weise. Das Monster gibt nicht auf und sucht nach immer neuen Wegen aus seiner Einsamkeit. Wenn es durch seine Andersartigkeit nicht möglich ist, in der Gesellschaft der Menschen akzeptiert zu werden, warum dann nicht einen Freund bauen…? Es wird die Thematik griechischer Mythologie aufgegriffen, als es sich einen Partner aus Stein schaffen möchte, aber auch biblische Motive. Keiner seiner Versuche fruchtet, bis die Kreatur eine Stadt erreicht und dort einen Hinweis auf seinen Schöpfer findet.
Zur Spielmechanik…
… muss man eigentlich nicht viel sagen, denn das Point-And-Click-Adventure ist selbsterklärend. Man findet alleine heraus, was man zu tun hat, indem man einfach mit allem interagiert, mit dem man interagieren kann. Die Rätsel, die es in The Wanderer – Frankenstein’s Creature zu lösen gilt, sind eigentlich gut zu schaffen. Eigentlich? Hin und wieder kann man probieren, wie man will und kommt nicht wieder. Besonders oft passiert es, wenn man etwas aktivieren muss, das mit einem Mechanismus verbunden ist und sich als eigenes Fenster öffnet. Dann hilft es, wenn man das Kapitel neustartet. Und siehe da: Plötzlich lassen sich Namen in Büchern markieren und ein Safe öffnen, an dem man sich kurz zuvor noch die Zähne ausgebissen hat. Wenn ihr also mal gar nicht weiterkommt, geht nochmal zurück ins Hauptmenü und dann auf Weiterspielen. Ihr startet wieder in der letzten Szene und solltet dieses bugfrei spielen können.
Fazit zu The Wanderer: Frankenstein’s Creature:
Auch wenn die Frankenstein-Thematik schon so oft neuinterpretiert wurde, habe ich noch nie eine so gefühlvolle Version gesehen. Das Monster ist in diesem Point-And-Click-Adventure kein Bösewicht, den es mit Fackeln in eine Mühle zu jagen gilt, sondern ein verzweifelter und sehr einsamer Wanderer. Zwar bleibt die Kreatur nicht unbedingt so schuldlos wie am Anfang des Spiels, aber dies hängt von der Entscheidung des Spielers ab. Überlegt also gut, was ihr tut.
Aktuell gibt es The Wanderer: Frankenstein’s Creature über Steam oder iOS, es sollen aber bald die Versionen für Android und Nintendo Switch folgen. Wer vorher schon mal reinschnuppern möchte, kann eine kostenlose Testversion ausprobieren.