Das im Mai 2025 erschienene Buch „Computerspiele – 50 zentrale Titel“ bietet einen beeindruckenden Querschnitt durch die Welt der digitalen Spiele – von frühen Klassikern bis hin zu aktuellen Titeln. Herausgegeben von Daniel Martin Feige und Rudolf Inderst, will der Sammelband nicht nur die historischen und ästhetischen Qualitäten von Computerspielen darstellen, sondern sie auch in größere gesellschaftliche und kulturelle Kontexte einordnen. Mit Beiträgen von Expert*innen aus verschiedenen Fachrichtungen richtet sich das Werk gleichermaßen an Studierende, Lehrkräfte und Kulturinteressierte. Ein ehrgeiziges Projekt, das dem wachsenden Stellenwert von Games als Kulturgut Rechnung tragen will.
Einer dieser Beiträge stammt von Wolfgang Walk, einem der prägenden Entwickler der „Siedler“-Reihe. Sein Text „Die Siedler (1993)“ fällt dabei durch ein sehr persönliches und zugleich hochambitioniertes Vorgehen auf: Walk verknüpft seine eigenen Erinnerungen an die Zeit vor und während seiner Arbeit bei Blue Byte mit einem ebenso weitgespannten wie verschachtelten kulturwissenschaftlichen Deutungsrahmen.
Zunächst das Positive: Wolfgang Walk kennt das Thema, über das er schreibt, wie kaum ein anderer. Er liefert spannende Einblicke in die Entstehung von „Die Siedler“ und die prägenden Designideen des Spiels – insbesondere den Bruch mit der bis dahin dominierenden Tabellenkalkulation-Ästhetik von Wirtschaftssimulationen. Dass „Die Siedler“ Arbeit und Produktionsketten so unmittelbar sichtbar und erlebbar machte, ist zweifellos eine seiner größten Verdienste und wird von Walk auch gut herausgearbeitet.
Doch das eigentliche Problem des Textes liegt im Versuch, das Spiel und seine Entwicklung in übergroße historische und politische Zusammenhänge einzubetten. So streut Walk etwa Bezüge zur deutschen Wiedervereinigung, zu rassistischen Pogromen der 1990er Jahre oder zu Hegels Herr-Knecht-Dialektik ein – als wolle er „Die Siedler“ nicht nur als spielerisches Meisterwerk, sondern auch als kulturelles Dokument einer ganzen Epoche deuten. An dieser Stelle wirkt der Text deutlich überambitioniert. Die Gleichsetzung von „Die Siedler“ mit politischen oder gar philosophischen Diskursen über Herrschaft und Knechtschaft geht weit über das hinaus, was ein Aufbauspiel aus dem Jahr 1993 tatsächlich leistet.
Auch die Kritik an der rein männlichen Besetzung der Figuren im Spiel wirkt aus heutiger Sicht eher bemüht als relevant. „Die Siedler“ war zuallererst ein charmantes und zugängliches Strategiespiel – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Dass Wolfgang Walk sich dieser Diskurse bedient, mag zwar dem Zeitgeist eines wissenschaftlich-kritischen Bandes entsprechen, bleibt aber letzten Endes ein Zuviel des Guten.
Dieser Eindruck lässt sich durchaus auf das gesamte Buch übertragen: „Computerspiele – 50 zentrale Titel“ ist ein ambitioniertes und teils hochinteressantes Projekt, das viele spannende Perspektiven aufzeigt. Aber es wirkt manchmal so, als müssten alle Spiele zwanghaft in große kulturhistorische Narrative gepresst werden – dabei sind manche von ihnen auch einfach nur zum Spielen da.
Fazit: Das Buch ist eine lohnende Lektüre für alle, die Computerspiele als Kulturphänomen ernst nehmen wollen – und zugleich ein Beispiel dafür, wie man auch mal einen Schritt zu weit gehen kann, wenn man aus einem Spiel mehr herausdeuten möchte, als in ihm eigentlich steckt.
Lies auch: Die Kunst des Game Designs (Buch-Review)
2 Kommentare
Vielen lieben Dank für die freundliche Besprechung!
Herzliche Grüße aus München
Rudolf (Inderst)
Vielen Dank für die Rückmeldung – freut mich, wenn der Beitrag hilfreich war!