„Ich wurde gescammt!“ – Kaum ein Satz verbreitet sich auf TikTok schneller. Besonders wenn es um Vinted geht, schießen die Storytimes ins Viral-Himmelreich. Verkäufer:innen erzählen von angeblich dreisten Käufern, verschwundenen Paketen, ruinierten Kleidungsstücken. Die Kommentarsektion? Ein einziges Echo aus Mitleid, Empörung – und weiteren „Scam-Stories“. Doch Moment mal: Ist das wirklich alles Betrug? Oder reden wir hier vielleicht eher von ganz normalen Streitfällen auf einem Secondhand-Marktplatz?
Die TikTok-Geschichte, die keine ist
Beispiel gefällig? In einem aktuellen TikTok berichtet Creatorin @philine, wie eine Käuferin auf Vinted gleich mehrere Probleme meldet: Drei Hosen sollen fehlen, ein Pullover sei untragbar. Dabei habe sie alles korrekt verschickt – mit Foto, liebevoller Verpackung und sogar einer Nachricht. Der Pullover war zwar einmal gewaschen und eingelaufen, aber das habe sie laut eigener Aussage transparent in der Anzeige erwähnt. Die Käuferin meldet dennoch „Scam“. Aber ist es das wirklich?
In den Kommentaren zeigt sich schnell: Viele Nutzer:innen sehen das anders. Die Kritik: Wer ein verwaschenes Kleidungsstück als „neu“ einstellt, muss sich über enttäuschte Käufer nicht wundern. Andere wiederum stehen hinter der Verkäuferin und werfen der Käuferin vor, mit Absicht falsche Angaben zu machen, um Geld zurückzubekommen.
Klar ist: Das Ganze wirkt eher wie ein klassischer Fall von enttäuschter Erwartung und Missverständnissen. Kein Betrug im eigentlichen Sinn. Aber warum wird das dann auf TikTok trotzdem so erzählt?
Was ist überhaupt ein Scam – und was nicht?
Damit wir nicht aneinander vorbeireden: Ein echter Scam ist eine betrügerische Masche mit System.
Beispiele für echten Scam:
- Du bekommst einen Phishing-Link von einem angeblichen Vinted-Account auf Instagram.
- Der Käufer behauptet, das Paket sei nie angekommen – obwohl es laut Tracking persönlich übergeben wurde.
- Rücksendung kommt an – aber mit anderen oder kaputten Artikeln drin.
- Der Verkäufer listet Technikartikel extrem günstig, kassiert Geld – und verschwindet.
Typische Missverständnisse und Streitfälle:
- Größe fällt anders aus als erwartet.
- Artikel ist getragen, obwohl er als „neu“ markiert war.
- Der Käufer meldet Mängel, die in der Anzeige (aus Sicht des Verkäufers) deutlich gemacht wurden.
- Schlechte Bewertung trotz vorheriger positiver Rückmeldung.
Das sind nervige, aber normale Vorkommnisse auf jeder Verkaufsplattform. Streitfälle, keine Scams. Und genau da liegt das Problem: TikTok wirft beides in einen Topf – weil es sich besser verkauft.
TikTok verstärkt das Drama
TikTok liebt persönliche, emotionale Geschichten. Alles, was ungerecht wirkt, geht durch die Decke. Verkäuferin gegen Käuferin? Das ist perfekter Content. Aber diese „Warnvideos“ wirken oft wie Clickbait – und helfen am Ende niemandem.
Denn der Eindruck entsteht: Vinted sei unsicher, voller Betrüger, ein Ort zum Abzocken. Dabei ist Vinted eigentlich ziemlich gut – wenn man sich an die Regeln hält:
- Immer in der App bleiben.
- Nie persönliche Daten oder Links austauschen.
- Zustände ehrlich angeben.
- Etikettgröße eintragen – nicht die „gefühlte“ Größe.
Die Plattform bietet Schutzmechanismen – aber nur, wenn man sie nutzt. Wer Vinted verlässt, auf Insta wechselt oder falsche Angaben macht, riskiert eben genau das: Missverständnisse, schlechte Bewertungen – und im schlimmsten Fall, dass der Support nicht helfen kann.
Was die Community sagt – und wie man es besser macht
In den Kommentaren unter @philine’s Video ist viel los. Und vieles davon ist tatsächlich hilfreich:
- „Ich mache immer Videos vom Einpacken.“
- „Nie was als ’neu‘ angeben, was schon gewaschen wurde.“
- „Support hilft nur, wenn Beweise da sind.“
- „Bei schlechtem Gefühl lieber nicht verkaufen.“
Dazu kommt eine weitverbreitete Frustration: Viele Verkäufer:innen fühlen sich vom Support allein gelassen. Käufer bekommen oft recht – auch wenn es unlogisch erscheint. Das sorgt für Misstrauen. Und genau deshalb rüsten viele auf: mit Videos, Screenshots, Packlisten, Trackingnachweisen. Aufwand, der nervt – aber nötig scheint.
Fazit: TikTok ist nicht das Problem – aber auch nicht die Lösung
Nicht jeder Streit ist ein Scam. Und nicht jeder Frust gehört auf TikTok. Wer sich mit Secondhand-Käufen befasst, muss wissen: Erwartungen, Zustände und Kommunikation sind oft subjektiv. Vinted ist keine perfekte Plattform – aber auch kein Ort voller Betrüger. Wer fair verkauft, ehrlich beschreibt und Beweise sichert, hat gute Chancen. Wer aber nur mit dem Finger auf andere zeigt und TikTok für Drama nutzt, trägt zur Verunsicherung bei.
Also: Augen auf beim Einstellen, ruhig bleiben bei Problemen – und bitte nicht gleich „Scam!“ schreien, nur weil etwas schiefgelaufen ist. Echte Betrugsmaschen gibt es leider wirklich – und genau deshalb sollten wir den Begriff nicht verwässern.
Achja, und es gibt Scam und Betrug auf Vinted, wie auch auf anderen Plattformen auch. Wir berichten und warnen gern, wie hier oder hier oder hier. Und Vinted antwortet, kümmert sich um Probleme und die Plattform, wie sie hier bewiesen haben oder hier.
Update (30.06.25): Teil 2 auf TikTok – Käuferin ohne Beweise, Verkäuferin bekommt Recht
Creatorin @philine hat mittlerweile ein zweites Video zu ihrem Vinted-Fall gepostet – und darin zeigt sich erneut: Von einem Scam im klassischen Sinn kann keine Rede sein. Zwar blieb die Käuferin bei ihrer Kritik („drei Hosen fehlen“, „Pullover untragbar“), aber Beweise? Fehlanzeige.
Die Verkäuferin wandte sich nach dem fehlenden Feedback der Käuferin direkt an den Vinted-Support, legte ihre Sicht sachlich mit Fotos und Erklärungen dar – und bekam Recht. Vinted bestätigte, dass die Käuferin keine ausreichenden Beweise vorlegen konnte, und schloss den Fall mit einer Gutschrift für die Verkäuferin ab.
Interessant dabei: Die Verkäuferin zeigt sich offen und kompromissbereit – hätte die Käuferin freundlich kommuniziert, hätte sie ihr sogar freiwillig 5 € zurückerstattet. Stattdessen kam es zum Stillstand und sogar zur Androhung rechtlicher Schritte. Erst danach kam Bewegung rein.
Das Fazit aus Teil 2:
🔹 Kein Betrug, sondern ein Kommunikationsdesaster.
🔹 Vinted hat nach Prüfung sachlich und zugunsten der Verkäuferin entschieden.
🔹 Die Community-Tipps („alles dokumentieren!“, „GPT nutzen für Support-Texte“) haben geholfen.
🔹 @philine will künftig nur noch an Käufer mit guten Bewertungen verkaufen – ein nachvollziehbarer Schritt.
Wieder einmal zeigt sich: Die Vinted-Plattform funktioniert, wenn man die Regeln kennt, Beweise sammelt und ruhig bleibt. TikTok hingegen bleibt das perfekte Brennglas für Drama – egal ob gerechtfertigt oder nicht.