Die Einführung von KI-generierten Zusammenfassungen bei Amazon-Rezensionen ist technisch beeindruckend (wir berichteten), in der Praxis jedoch eine Einladung zum Chaos. Mit einem Satz wie „Die Kunden sagen“ präsentiert Amazon eine vermeintliche Quintessenz der Bewertungen, die oft so viel mit der Realität zu tun hat wie eine Food-Fotografie mit einem echten Hamburger. Die Zusammenfassungen sind auf den ersten Blick praktisch, auf den zweiten problematisch und auf den dritten schlicht gefährlich – für die Verkäufer, die Käufer und nicht zuletzt Amazons eigenen Ruf.
KI, die kritische Details ignoriert
Die Idee klingt zunächst bestechend: Wer hat schon Zeit, sich durch hunderte von Rezensionen zu wühlen, die sich zwischen überschwänglichem Lob und giftigem Hohn bewegen? Amazon verspricht eine Lösung mit generativer KI, die die Meinungen von Kunden in einen prägnanten Text destilliert. Doch das Problem liegt in der Destillation selbst. In zahlreichen Fällen wählen die KI-Modelle einzelne Schlagworte oder Sätze, die in keinem Verhältnis zur Gesamtbewertung stehen. Eine Handvoll negativer Reviews kann genügen, um die Gesamtbewertung eines Produkts in einem negativen Licht erscheinen zu lassen – obwohl die überwiegende Mehrheit der Käufer zufrieden ist.
Ein Beispiel aus dem Verkäuferforum (Quelle: AI generated description is obviously giving customers a wrong idea of our product. What can/should we do?, abgerufen am 3.12.24) illustriert die Tragweite: Ein Produkt, das in 500 Rezensionen überwiegend positive Rückmeldungen erhalten hat, wird durch eine Zusammenfassung mit Sätzen wie „schlechte Qualität“ und „funktioniert nicht“ nahezu unverkäuflich. Dabei stammt diese Einschätzung aus einer Handvoll Rezensionen, während dutzende positive Kommentare ignoriert werden. Der Schaden für den Händler ist enorm, der Nutzen für den Käufer fragwürdig.
Die Achillesferse: Vertrauen
Amazon hat über Jahre hinweg daran gearbeitet, sich als Plattform mit vertrauenswürdigen Bewertungen zu positionieren. Doch mit der Einführung dieser KI-generierten Highlights wird dieses Vertrauen untergraben. Verkäufer berichten von massiven Umsatzrückgängen, nachdem diese Features eingeführt wurden, und Käufer beklagen sich über irreführende Zusammenfassungen. Die KI macht, was KI oft tut: Sie agiert datenbasiert, aber ohne Kontext. Und das ist der springende Punkt.
Wenn eine Zusammenfassung Schlagworte wie „einfach zu bedienen“ oder „nicht langlebig“ hervorhebt, mag das oberflächlich sinnvoll erscheinen. Doch ohne den Kontext der vollständigen Bewertungen – wer hat das gesagt, warum und unter welchen Umständen? – entsteht ein Zerrbild. Und wenn diese Verzerrung die Kaufentscheidung beeinflusst, wird das gesamte System infrage gestellt.
Warum KI keine Meinung haben sollte
Das eigentliche Problem ist grundsätzlicher Natur: KI sollte in dieser Form keine Meinung vertreten, denn sie ist weder Kunde noch Experte. Bewertungen sind subjektiv, oft emotional und in manchen Fällen schlicht unfair. Eine KI, die versucht, diese Subjektivität in objektive Aussagen zu übersetzen, scheitert zwangsläufig. Selbst bei den besten Algorithmen bleibt die Frage: Welche Verantwortung trägt Amazon für die Auswirkungen dieser fehlerhaften Zusammenfassungen?
Die Ironie der Transparenz
Amazon argumentiert, dass die neuen Features das Shopping-Erlebnis verbessern und Käufern mehr Transparenz bieten sollen. Doch in der Realität scheinen sie das Gegenteil zu bewirken. Eine KI-Zusammenfassung ersetzt nicht die Arbeit des Lesens von Rezensionen, sondern schafft eine zusätzliche Hürde: den Zweifel. Können diese Zusammenfassungen wirklich die Essenz eines Produkts erfassen? Und wenn nicht, warum verlassen wir uns darauf?
Fazit: Mehr Schaden als Nutzen?
Die Einführung von KI-generierten Rezensionen ist ein weiteres Beispiel für den blinden Glauben an Technologie als universelle Lösung. Während die Idee gut gemeint ist, zeigt die Praxis, dass die Umsetzung zahlreiche Probleme mit sich bringt. Für Verkäufer bedeutet dies potenziell ruinöse Umsatzeinbrüche. Für Käufer eine potenziell fehlerhafte Entscheidungsgrundlage. Und für Amazon? Ein möglicherweise irreparabler Schaden am Ruf einer Plattform, die immer für Vertrauen stehen wollte.
Der nächste Schritt? Vielleicht sollten wir wieder darauf vertrauen, was Kunden wirklich sagen – und das Lesen der Rezensionen den Menschen überlassen.
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