Stellt euch ein Rotkäppchen im Jahr 2025 vor. Es hat nicht nur eine Kappe in der Farbe, sondern am Handgelenk eine knallrote Smartwatch! Und bevor die Geschichte überhaupt losgehen würde mit der Oma und dem Jäger, wäre sie zu Ende. Denn anstatt von einem großen, bösen Wolf gefressen zu werden, bekommt unser modernes Rotkäppchen eine Push-Benachrichtigung: „Vorsicht, unsichere Zone!“ Schnell drückt sie den SOS-Knopf, und schwupps, ertönt eine Sirene aus der Uhr, die den Wolf in die Flucht schlägt. Doch gleichzeitig lockt der Alarm den Grüffelo an, und wir alle wissen, der ist noch viel gefährlicher und kann nur abgewehrt werden mit energischem Auftreten. Das hat unser Rotkäppchen aber verlernt, da es ja eine hilfreiche Uhr hat. Die Moral der Geschichte? Die Technologie hat das Märchen zwar modernisiert, aber ob Rotkäppchen nun wirklich sicherer ist oder einfach nur überwacht wird, ist die Frage, die uns alle umtreibt.
Nennt sie Xplora, nennt sie Anio oder Kidswatch. Sie sind alle Überwachungsgeräte.
Monströs als wäre würde ich mit einem iPad als Telefon am Ohr rumlaufen. Das war mein erster Eindruck von den Smartwatch-Sortiment von Xplora auf einer Messe. Es sei eine kindgerechte Alternative zum Smartphone, sehe ich hinterm Produktdisplay den Slogan an der Wand. Oder auch „Das erste Handy für dein Kind“. All das ist technisch gesehen fragwürdig, da sich das iPhone damals gerade dadurch von den einfachen Geräten unterschied, dass man Apps nutzen, Musik hören und eben smarte Features entdecken konnte. Aber sogar die Musikabspielfunktion wurde kürzlich nachträglich per Software-Update entfernt, wie man aus wütenden Reviews von Eltern auf Amazon erfahren kann. Whou.
Abwägung der Vor- und Nachteile einer Kinder-Smartwatch
Die Frage, ob man für sein Kind eine Smartwatch wie die von Xplora braucht, ist komplex und wirft zahlreiche ethische und psychologische Überlegungen auf. Zunächst einmal gibt es den offensichtlichen Vorteil der erhöhten Sicherheit. In einer Welt, die scheinbar immer unsicherer wird — besonders in Großstädten und im Straßenverkehr —, bietet die Uhr eine Art Sicherheitsnetz. Eltern können den Standort ihres Kindes in Echtzeit verfolgen und im Notfall schnell reagieren. Doch diese vermeintliche Sicherheit hat auch ihre Schattenseiten. Die ständige Überwachung kann zu einer Atmosphäre des Misstrauens führen und die Entwicklung der Selbstständigkeit des Kindes hemmen. Psychologisch gesehen könnte das Kind die Botschaft erhalten, dass die Welt ein gefährlicher Ort ist, den es ohne technologische Hilfe nicht sicher navigieren kann.
Auch für die Eltern kann die ständige Überwachungsfähigkeit eine psychische Belastung darstellen. Die Möglichkeit, immer eingreifen zu können, kann paradoxerweise zu mehr Angst und Sorge führen, nicht weniger. Hinzu kommt eine gewisse soziale Tragik: Indem wir immer mehr auf Technologie setzen, um unsere Sicherheit zu gewährleisten, könnten wir den sozialen Zusammenhalt und die gegenseitige Hilfe untergraben. Anstatt dass Nachbarn oder Passanten in einer Notsituation helfen, könnten wir uns immer mehr isolieren und auf unsere persönlichen Sicherheitsnetze verlassen. Dies könnte langfristig zu einer dystopischen Gesellschaft führen, in der Technologie nicht nur ein Werkzeug, sondern ein Ersatz für menschliche Interaktion und Solidarität ist. Daher ist es wichtig, sorgfältig abzuwägen, welche Botschaft wir senden und welche Welt wir schaffen wollen, wenn wir uns für derartige Technologien entscheiden.
Exkurs: Das Xplora Credit-System für Schritte – Ein Schritt in die falsche Richtung?
Das Credit-System für Schritte der Xplora, ein Paradebeispiel für die Verschmelzung von Technologie und Verhaltenspsychologie, um Kinder zu „motivieren“. Aber wofür? Um mehr zu laufen? Als ob die natürliche Neugier und Bewegungsfreude eines Kindes nicht ausreichen würden und durch eine digitale Karotte am Stick ersetzt werden müssten. Ernsthafte Frage: Brauchen wir wirklich eine Technologie, die unseren Kindern beibringt, dass jede körperliche Aktivität mit einer Art von „Belohnung“ einhergehen muss?
Dieses System impliziert, dass Bewegung alleine nicht lohnenswert ist und verpackt es in einer Spielmechanik, die Kinder lehrt, dass sie für alles, was sie tun, eine Art von „Credit“ verdienen sollten. Was passiert, wenn das Kind dann ohne Smartwatch draußen ist? Fehlt dann die Motivation für die einfachsten menschlichen Aktivitäten? Bewegung wird so zu einer Transaktion, etwas, das nur im Austausch für eine Belohnung getan wird.
Das ist nicht nur psychologisch fragwürdig, sondern fördert auch eine sehr materialistische und leistungsorientierte Sichtweise, die in vielen Aspekten des modernen Lebens bereits übermäßig präsent ist. Wollen wir wirklich eine Generation von Kindern heranziehen, die glaubt, dass jeder Schritt, den sie tun, in irgendeiner Weise „monetarisiert“ werden muss? Und was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn selbst die unschuldige Freude an der Bewegung in ein Punktesystem umgewandelt wird, das mehr an einen Marktplatz als an einen Spielplatz erinnert?
Es ist vielleicht an der Zeit, einen Schritt zurückzutreten und zu überlegen, welche Werte wir unseren Kindern wirklich vermitteln wollen. Und vielleicht ist der erste Schritt, keine „Credits“ dafür zu vergeben.
Fazit: Mehr als nur ein Überwachungsgadget?
Die konzeptionell notwendige Einschränkung der Funktionsvielfalt sorgt nun dafür, dass die Uhr allein zu einem Überwachungsgadget wird. Aber lassen wir all diese technischen Diskussionen an dieser Stelle beiseite. Denn sicher würde es eine Smartwatch für Kinder geben, welche den Kompromiss findet. Wie wäre es, wenn die Uhr angereichert wäre durch Bildungsinhalte, etwa die Möglichkeit Pflanzen und Tiere zu erkennen?
Statt Kinder nur dazu zu ermutigen, Schritte für Credits zu sammeln, könnte die Smartwatch zu einem interaktiven Bildungswerkzeug werden, das die natürliche Neugier der Kinder fördert. Stellen Sie sich eine Smartwatch vor, die das Kind beim Wandern im Wald unterstützt, indem sie verschiedene Tierarten oder Pflanzen identifiziert und interessante Fakten dazu liefert. Dies würde nicht nur die Verbindung zur Natur stärken, sondern auch die Technologie in einer Weise nutzen, die über die bloße Überwachung und Sicherheit hinausgeht.
Diese angereicherte Funktion könnte die Balance zwischen Überwachung und Bildung wiederherstellen und so eine neue Generation von Smartwatches schaffen, die nicht nur die Eltern beruhigen, sondern auch die Kinder bereichern. Es könnte ein Mittelweg zwischen der notwendigen Sicherheit und der Förderung der Unabhängigkeit und Bildung der Kinder sein. In dieser idealen Welt wäre die Smartwatch nicht nur ein Überwachungsgadget, sondern ein Werkzeug für ganzheitliche Entwicklung und Lebenserfahrung.
Die Technologie hat das Potenzial, unser Leben in vielfältiger Weise zu bereichern, aber sie birgt auch Risiken und Herausforderungen, insbesondere wenn es um die Erziehung unserer Kinder geht. Die Smartwatch für Kinder steht symbolisch für diese Zwickmühle. Sie kann sowohl ein Segen als auch ein Fluch sein, und es liegt an uns, den richtigen Weg in dieser komplexen Landschaft zu finden.
Ein Kommentar
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