Etsy gilt seit Jahren als der Anlaufpunkt für handgemachte Produkte, Vintage-Schätze und Künstlerbedarf. Doch die Plattform, die einst als Zuflucht für kleine kreative Unternehmen gefeiert wurde, hat sich in den letzten Jahren drastisch verändert. Vom idealistischen Ansatz, eine Gemeinschaft unabhängiger Kunsthandwerker zu unterstützen, hin zu einer profitorientierten Plattform für Massenprodukte – Etsy steht mittlerweile in der Kritik, seine ursprünglichen Werte verraten zu haben.
Was ist Etsy? – Ein Überblick
Etsy wurde 2005 in Brooklyn, New York, von Rob Kalin, Chris Maguire und Haim Schoppik gegründet. Die Grundidee war simpel, aber visionär: eine Online-Plattform zu schaffen, die sich ausschließlich auf handgefertigte Artikel, Vintage-Produkte (älter als 20 Jahre) und Künstlerbedarf spezialisiert. Zu einer Zeit, als der E-Commerce stark von großen Konzernen wie Amazon oder eBay dominiert wurde, füllte Etsy eine Marktlücke, die Kreativen und Kunsthandwerkern weltweit eine Bühne bot.
Etsys Mission: Kreativität und Gemeinschaft
Etsy unterschied sich von Anfang an durch seine Community-orientierte Herangehensweise. Verkäufer und Käufer konnten direkt miteinander interagieren, und die Plattform legte großen Wert darauf, den persönlichen Aspekt des Einkaufens hervorzuheben. Von handgeschriebenen Dankeskarten bis hin zur Möglichkeit, maßgeschneiderte Produkte direkt mit den Herstellern zu besprechen, war Etsy mehr als nur ein Marktplatz – es war ein kreatives Ökosystem.
Bis 2013 hatte Etsy über eine Million aktive Nutzer und erzielte über eine Milliarde US-Dollar an Bruttoumsätzen. Der Erfolg schien unaufhaltsam, doch ein entscheidender Wendepunkt kam 2015: der Börsengang.
Vom Ideal zur Realität: Der Börsengang und seine Folgen
Mit dem Börsengang 2015 veränderte sich die Priorität von Etsy grundlegend. Als börsennotiertes Unternehmen stand Etsy unter dem Druck, Gewinne zu maximieren und seinen Aktionären Wachstum zu bieten. Diese Veränderung zeigte sich in einer Reihe von strategischen Entscheidungen, die viele der ursprünglichen Verkäufer als Verrat an den Grundwerten der Plattform wahrnahmen.
Gebührenstruktur und versteckte Kosten
Eine der größten Beschwerden vieler Verkäufer betrifft die Gebühren, die Etsy erhebt. Ursprünglich lag die Transaktionsgebühr bei 3,5 %, mittlerweile beträgt sie 6,5 %. Hinzu kommen 3 % Kreditkartengebühren, eine Pauschale pro Transaktion sowie eine Einstellungsgebühr pro Artikel. US-Verkäufer, die mehr als 10.000 USD im Jahr umsetzen, müssen zudem obligatorisch an den „Offsite Ads“-Programmen teilnehmen, wodurch zusätzliche 12–15 % Gebühren anfallen.
Der „Algorithmus-Zwang“ und Gratisversand
Seit 2019 fordert Etsy von seinen US-Verkäufern, Gratisversand für Bestellungen über 35 USD anzubieten. Verkäufer, die dies nicht tun, riskieren eine geringere Sichtbarkeit ihrer Produkte in den Suchergebnissen. Mit steigenden Versandkosten und Inflation hat diese Politik jedoch dazu geführt, dass viele kleine Händler ihre Margen drastisch reduzieren oder ihre Preise erhöhen mussten – was wiederum Etsy zugutekommt, da sich die Gebühren an den Gesamtkosten orientieren.
Kritik an Etsy: Die größten Herausforderungen
Masseneinzug von Massenware
Eine der gravierendsten Veränderungen der letzten Jahre ist die zunehmende Präsenz von massenproduzierten Artikeln. Einst als Plattform für handgefertigte und einzigartige Produkte bekannt, wird Etsy nun von Drop-Shipping-Händlern überschwemmt. Diese Anbieter verkaufen billig produzierte Waren aus Fabriken, vor allem aus China, die häufig als „handgemacht“ deklariert werden. Dies untergräbt nicht nur das Vertrauen der Käufer, sondern verdrängt auch echte Handwerker aus dem Wettbewerb.
Kritik an der Nachhaltigkeit
Viele Käufer schätzen Etsy aufgrund seiner ursprünglichen Betonung von Nachhaltigkeit. Doch die aktuellen Entwicklungen werfen Zweifel auf, ob Etsy diesen Anspruch noch erfüllt. Verkäufer berichten von immer schwierigeren Bedingungen, um nachhaltige Produkte rentabel anzubieten, während massenproduzierte Artikel das Gegenteil fördern.
Algorithmus-Änderungen und Account-Sperrungen
Etsy hat mehrfach seinen Algorithmus geändert, um „die Kundenerfahrung zu verbessern“. In der Praxis bedeuten diese Änderungen jedoch oft zusätzliche Hürden für Verkäufer, die bereits mit schmalen Margen kämpfen. Gleichzeitig häufen sich Berichte über plötzliche und oft grundlose Account-Sperrungen. Viele betroffene Verkäufer berichten von einer nahezu nicht vorhandenen Kundenbetreuung, die sie oft im Unklaren lässt.
Was ist los bei Etsy? Die Sicht der Community
In einem YouTube-Video mit dem Titel „What Is Going On At Etsy“ beschreibt Amber von „Sustainable Jungle“ die Herausforderungen, vor denen Etsy-Verkäufer heute stehen. Amber, selbst seit 2018 Etsy-Verkäuferin, sieht die Plattform als einen Schatten ihres früheren Selbst. Ihre Kritikpunkte umfassen:
- Wachsende Gebührenlast: Die zahlreichen Gebühren schmälern die Gewinne erheblich und zwingen viele Verkäufer dazu, ihre Preise unnatürlich zu erhöhen.
- Drop-Shipping und Massenware: Der Einzug von massenproduzierten Artikeln auf Etsy macht es echten Handwerkern schwer, wettbewerbsfähig zu bleiben.
- Fehlende Transparenz: Änderungen in den Richtlinien und Algorithmen werden oft ohne ausreichende Kommunikation eingeführt.
- Nachhaltigkeitsprobleme: Während Etsy Nachhaltigkeit propagiert, erschweren die Kostenstruktur und der Wettbewerb durch Massenware ein nachhaltiges Geschäft.
- Algorithmus-Voreingenommenheit: Verkäufer, die sich nicht an bestimmte „Empfehlungen“ halten, wie Gratisversand oder niedrige Versandkosten, werden im Ranking abgestraft.
Gibt es Alternativen zu Etsy?
Die schwindende Beliebtheit von Etsy wirft die Frage auf, ob es viable Alternativen gibt. Amber erwähnt Plattformen wie „GoImagine“, die sich als nachhaltige und transparente Marktplätze positionieren. Allerdings haben diese Plattformen noch nicht die Reichweite, um Etsy wirklich Konkurrenz zu machen.
Fazit: Zwischen Ideal und Realität
Etsy bleibt trotz der Kritik eine der bekanntesten Plattformen für handgefertigte und einzigartige Produkte. Doch die wachsenden Herausforderungen für Verkäufer und die zunehmende Abkehr von den ursprünglichen Werten machen es schwer, Etsy uneingeschränkt zu empfehlen. Für Käufer ist es wichtiger denn je, bewusst und kritisch zu wählen, welche Anbieter sie unterstützen.
Etsy muss sich entscheiden: Will es eine Plattform für Kreative und Nachhaltigkeit bleiben oder ein weiterer gesichtsloser Online-Marktplatz werden?