Influencer und ihre Aktivitäten auf den Plattformen. Darüber könnte man sich die Haare raufen, den Bauch vollsaufen oder drüber laufen wie den Staub am Straßenrand. Oder man schreibt ein Buch. Eines mit dem schon genannten I-Wort im Titel mit dem Zusatz „Die Ideologie der Werbekörper“ ist von Ole Nymoen und Wolfgang >>>M<<< Schmidt bei Suhrkamp 2021 erschienen. Es gab schon mehrere Auflagen, was wohl fürs Interesse an der Influencer-Ideologie spricht. Wir haben die 180 Seiten mal durchgeblättert und einige Sätze rausgerissen, stellen es in unserer Toxisches-TikTok-Rubrik der Plattform-Kritik vor. Und Spoileralarm, wir fanden keine schönen Bildchen im Büchlein. Bruh.
Das Influencertum ist falsch. Und das gleich aus allen möglichen Gründen. Einig? Schauen wir also mal, welche Gründe die beiden Autoren gefunden haben und wie sie diese darstellen.
Der Sonnenuntergangs-Farbverlauf von Instagram prägt den ersten Blick. Eine Personensilhouette ohne Kopf aber mit 140K Herzchen macht gerade ein Selfie oder fotografiert Ziegen am Hang. Zwei Bilder sind im Buch, Korrektur. Die Autoren sind sw with #nofilter und fast im Quadratformat, traditionsgemäß im Rückklappdings abgedruckt. Sie sitzen vor einer Bücherwand mit Druckwerken über den Ring der Nibelungen in Bayreuth und so weiter. Der jüngere Autor sei noch Student in Jena, er zeigt seine Jugendlichkeit durch weiße kabelgebundene Kopfhörer. Die ältere Person, Herr Schmitt Wolfgang M. trägt hingegen eine Krawatte. Wer von beiden den Karl Marx in so ein Buch einbrachte, bleibt unklar. Es ist hingegen völlig klar, dass ein Influencer-Dings mit dem Kampfbegriff Spätkapitalismus auf dem Cover nicht unpolitisch ist. Und deshalb gehörte wohl auch ins Finale eine akrobatische Übung, die während der letzten Jahre nirgends fehlen durfte, wenn es kritisch wurde: Trump-Bezug.
In zehn Kapiteln wird der Influencer analysiert, die „wichtigste Sozialfigur des digitalen Zeitalters“. Vergleiche mit Hostessen vergangener Tage werden gezogen, eine historische Herleitung weiter über die Film-Persönlichkeiten der 90er bis hin eben zu jenen beeinflussenden Werbeträgern mit ihrer Authentizitätsmaske. Jedes der zehn Kapitel wird durch eine Schilderung eines Posts oder Kanals eingeleitet. Sei es das Kind mit den Fastfoodfilialnachbau im Wohnzimmer oder die Damen am Strand mit ihreren Männeranhängelsen. Vor allem sind es die Damen im Bikini und Herren mit Muskelbauch, die nicht gut wegkommen. Danach wird jeweils ein Aspekt analysiert. Sei es die Abhängigkeit von den Plattformen, sodass sie von ihren Produktionsmitteln befreit seien oder die zentrale Kritik am Körperwahn, welche dann auch das fatalistische Finale des Buchs ausmacht.
Unterhaltsames Buch
Scharf und polemisch ist die Kritik, welche die Autoren an den Werbeträgern üben. Sie verdeutlichen viele Aspekte zwischen Falschheit der falschen Vorbilder für die Jugend und Hass. Ja, damals Jackson und Schiller – DAS waren noch Vorbilder! Und dennoch liest man auf Reviewseiten ein „unterhaltsam war es“ über das Influencerbuch. Wer erinnert sich da nicht ans Nietzsche-Seminar und die Szene des tragischen Seiltänzers. Die Autoren haben gewiss eine Genugtuung dabei erlebt, wenn sie Überschriften wie „Erst kommt der Trend, dann die Moral“ schrieben oder den amerikanischen Traum als gescheitert mit der Hoffnungslosigkeit der Jugend in Ostdeutschland abhaken dürfen. Hier sind einige Stellen im Buch zu finden, welche mehr einem Wunsch entsprechen oder schlicht seltsam sind. China wird auf Seite 172 z.B. als Land dargestellt, was den Traum vom Wohlstand noch immer biete, anders als die westlichen Ländern. Ebenso skurril wirkt es, dass der Kapitalismus immer wieder in das Endstadium geschrieben wird, was strukturell der Hoffnung der Waffennarren auf die Zombie-Apokalypse gleichkommt. Das Buch kommt also oftmals vom Thema ab, ist zu kritisch negierend, aber zumindest zynisch-unterhaltsam und dadurch unbefriedigend. Die Influencer werden eben nicht die Krone der Werbung sein. Und Werbung ist auch nicht schlecht. Kampfbegriffe leben schon dadurch, dass ihre pure Nennung die Empörung fördern. Das Ende des Buchs ist letztlich als Hoffnung zu lesen, dass keine neuen Influencer mehr nachkommen können, da der Markt gesättigt sei. Ist das so?
Hier noch eine Checkliste der Top5, welche in keinem kritischen Buch fehlen darf, sei es Instagram oder Kinderarbeit in Indien:
- Referenz auf Horkheimer, Adorno, Marx, zur Not auch Günther Jauch
- Nutzung von Gedanken wie doppelfreie Lohnarbeiter, Entfremdung, ursprüngliche Akkumulation oder Mayonnaise
- Analyse eines Films wie American Psycho, Fight Club oder Matrix, eventuell auch Folge 8 Staffel 11 der Simpsons
- Nutzung von Kampfbegriffen wie Ideologie, postfaktisch, Spätkapitalismus oder Mandelmilch
- negative Auswirkung auf Klima, auch das des politischen Diskurses (Trump muss rein, H. ist ein kann)
Schon schade dieser Leseeindruck, dabei waren wir uns ja einig: Seit der Erfindung der Höhlenmalerei ist jedes Medium ein Spiegel der Gesellschaft. Und heute wird nicht mehr die Tierjagd in Bildern festgehalten, sondern jene auf Saturn Wundertüten und Reize jeder Art. Und das nervt. Allerdings darf man sich dann auch die Frage beantworten, warum die Beerensammelei und Abende am Lagerfeuer damals nicht thematisiert wurden. Die Plattformen sind heute übersexualisiert, konsumistisch und skandalisiert, eigentlich wie die Yellow Press als App und der größte Vorwurf wäre, dass alles wie immer ist, nur eben digital. Damit könnte man seine Ruhe finden und TikTok als zeitgeistig abtun. Aber freilich gibt es einen Unterschied. Während die Felswände begrenzt und dunkel waren und man jene Dinge darstellte, welche produktiv-natürlich wirkten, ist heute der verbrauchende Konsum das Hobby schlechthin. Schädlich fürs Klima, den Kreditmarkt und die Joghurtkulturen. Oder sollten wir die Büffel fragen, wie sie die Jagd fanden. Hashtag: alleswieimmer auf der Erde.
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Ein Kommentar
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